Ode ans Improvisieren
Manchmal läuft es nicht wie geplant: Das Auto bleibt liegen, wir müssen für einen erkrankten Kollegen einspringen oder haben unsere Unterlagen zum wichtigen Termin vergessen. In solchen Momenten sind wir alles andere als begeistert und müssen improvisieren. Wunderbar! Eine Chance, um richtig viel über uns zu lernen.
In meiner Anfangszeit in der Kommunikationsagentur kam ich in ein neues Projekt-Team. Kernstück der Arbeit war es, für die Zielgruppe regelmäßige eintägige Workshops zu halten. Vor meinem ersten Einsatz, den wir zu dritt geplant hatten, war ich aufgeregt. Am Morgen der Veranstaltung dann die Nachricht: Die Erfahrenste von uns dreien hatte sich einen Infekt zugezogen und konnte nicht teilnehmen. Nach kurzer Schockstarre schüttelte ich meine Sorgen ab und dachte: vielleicht gar nicht so schlecht, ins kalte Wasser geworfen zu werden und mich ausprobieren zu können.
Der Vorteil: Ich hatte diesmal keine Zeit, meine Unsicherheit mit minutiöser (und tendenziell übertriebener) Vorbereitung aufzufangen, wie es sonst meine Art war, um meinem Sicherheitsbedürfnis nachzugehen. Und darüber war ich in diesem Moment tatsächlich erleichtert. Denn die Überzeugung, sich einer neuen Situation nur stellen zu können, wenn man sich extrem gut vorbereitet, heißt im Umkehrschluss ja auch: Eigentlich vertraue ich nicht darauf, dass ich es gut hinbekomme. Jetzt konnte ich diese Überzeugung auf die Probe stellen: Wie würde es laufen, wenn ich spontan improvisieren musste?
Weniger Routine, mehr Lebendigkeit
Und tatsächlich: Alles lief reibungslos. Nach getaner Arbeit gaben meine Kollegin und ich uns ein High Five und schauten die positiven Evaluationsbögen durch. Niemand hatte etwas bemerkt. Im Gegenteil: Wir bekamen gutes Feedback für unsere lockere Moderation. Ein echtes Aha-Erlebnis für mich: Manchmal führt weniger Routine und Vorbereitung zu mehr Lebendigkeit. Ich kann offenbar mehr als ich mir zutraue. Ich prägte mir die Erfahrung gut ein. Und war deshalb auch nicht besorgt, als ich einige Monate später in einer ähnlichen Situation war und mit einer unvorbereiteten, spontan eingesprungenen Kollegin einen Seminartag gestalten musste. Es war doch schon einmal gut gegangen, warum sollte es jetzt anders sein?
Vertrauen in B-Lösungen
Was ich daraus für mich gelernt habe: Spontane Planänderungen sind möglich. Menschen können einspringen und umorganisieren und eine Lösung finden. Und auf auf der anderen Seite heißt das auch: Menschen können krank werden oder aus anderen Gründen kurzfristig ausfallen, und es ist keine Katastrophe. Wie entlastend ist es doch für alle Seiten, wenn wir darauf vertrauen können, dass die Welt sich weiterdreht und die kleinen Unwägbarkeiten und Überraschungen des Alltags sogar eine Gelegenheit bieten, etwas anders zu machen, Rollen neu auszuloten, anderen Menschen Chancen zu geben oder sich, wenn nötig, aus allem rauszuziehen, wenn es gerade nicht anders geht.
Raum für neue Erfahrungen
Ja, unser Gehirn liebt Routinen und Gewohnheiten. Es ist in seinem Element, wenn alles so abläuft wie gedacht und wir keine Überraschungen erleben. Das ist verständlich – Routinen sind energiesparend. Wir müssen nicht viel nachdenken, wenn wir jeden Tag den gleichen Weg zur Arbeit gehen, wenn wir im Büro Aufgaben erledigen, die wir so auch schon gestern und vorgestern bewältigt haben. Das gibt Sicherheit. Doch wenn diese Routinen unterbrochen werden, bilden sich neue Querverbindungen im Gehirn, und wir machen neue Erfahrungen. Über solche vermeintlich kleinen Ärgernisse nicht einfach hinwegzugehen, sondern uns bewusst damit auseinanderzusetzen, wenn etwas Unvorhergesehenes, Improvisiertes erfolgreich verläuft, verschafft uns neue Erkenntnisse.
- Was habe ich in der Situation über mich gelernt?
- Was hat mir geholfen, dass es funktioniert hat?
- Wie habe ich meine Unsicherheit überwunden?
- Welche Gedanken waren für mich hilfreich?
Nicht alles klappt auf Anhieb
Natürlich kann es auch schiefgehen, wenn man einen Plan kurzfristig ändern muss oder sich auf unbekanntes Terrain vorwagt. Doch auch diese Momente halten wichtige Erkenntnisse für uns bereit. Wenn etwas gar nicht funktioniert, fühlt sich das erstmal nicht gut an. Dann ist Wundenlecken völlig ok. Aber es kommt der Punkt, an dem wir tief durchatmen, es akzeptieren und reflektieren können:
- Was hat mich in der Situation besonders gestresst?
- Was war ausschlaggebend dafür, dass etwas schief gegangen ist?
- Was würde ich im Nachhinein / beim nächsten Mal anders machen?
- Hat vielleicht trotzdem irgendeine Kleinigkeit gut und reibungslos funktioniert? Was hat dazu geführt?
Diese positiven Abweichungen sollten wir uns direkt für die Zukunft merken. Und wenn wir wieder in eine ähnliche Situation kommen: davon mehr machen.
Probelauf für die großen Herausforderungen
Es geht nicht darum, in allem Schlechten etwas Gutes sehen zu müssen. Aber wir haben so oft im Alltag die Möglichkeit, uns anhand von scheinbar banalen Situationen selbst besser kennen zu lernen. Wenn wir diese kleinen Alltagskrisen als Generalprobe verstehen, dann können wir genau in diesen Momenten wichtige und hilfreiche Strategien für die wirklich großen Herausforderungen erproben, die uns im Leben begegnen.
Herauszufinden, was uns in einer Stresssituation beruhigt hat, macht es uns leichter, nächstes Mal darauf zurückzugreifen, wenn wir sehr nervös sind. Haben wir schon einmal erlebt, dass wir bei einem Workshop improvisieren können, gibt es keinen Grund, weshalb uns das nicht auch bei einer kniffligen Frage im nächsten Bewerbungsgespräch gelingen sollte oder wenn wir im Urlaub plötzlich mit dem Auto irgendwo stranden. Die Fähigkeit zur Improvisation ist immer die gleiche. Es wäre schade, wenn wir Erfreuliches oder Ärgernisse im Alltag nur als Glück oder Pech abspeichern und uns so die Möglichkeit nehmen, uns anhand dieser Situationen besser kennenzulernen. Deshalb: frohes Scheitern, Improvisieren, ins kalte Wasser geschmissen werden. Es lohnt sich.
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