Wenn wir uns in einer Problemspirale befinden, sind wir eines meistens nicht: präsent im Hier und Jetzt. Mit kleinen Routinen und Strategien schaffen wir es aber, zurück in unseren Körper zu kommen und die Welt um uns herum wieder bewusster wahrzunehmen – um uns so zu erden.
Was wird die Zukunft bringen? Wie soll ich die Herausforderung nur bewältigen? Hätte ich in der Vergangenheit etwas anders machen müssen? Habe ich die falschen Weichen gestellt? Mit solchen Überlegungen geben wir nicht nur unserem Problem übermäßig viel Raum, ohne eine Lösung zu finden, sondern wir vergessen im ewigen Kreisen in Vergangenheit und Zukunft auch leicht unsere eigenen Bedürfnisse im Hier und Jetzt. In solchen Phasen ist es wichtig, sich mit Hilfe von einfachen Strategien wieder bewusst in die Gegenwart zurückzuholen. Wie gelingt das? Unser wichtigster Helfer dabei ist unser eigener Körper. Nicht umsonst kneifen wir uns, wenn wir wissen wollen, ob etwas wirklich passiert. Das Gleiche können wir im übertragenen Sinne tun, wenn wir uns in einer Negativspirale befinden – und uns mit Hilfe unserer Körperwahrnehmung wieder dahin zurückbringen, wo wir gerade tatsächlich stehen.
Gedanken und Körper beeinflussen sich gegenseitig
Stress durch bedrückende Gedanken und Probleme äußert sich sehr häufig auch im Körper. Es mag sich zwar manchmal so anfühlen, als hätten wir gar keinen Körper mehr, weil alle Energie im Kopf bei den Gedankenspiralen ist. In solchen Situationen unterdrücken wir mitunter körperliche Bedürfnisse und stellen am Ende des Tages zum Beispiel fest, dass wir gar nichts gegessen oder getrunken haben und es uns nicht einmal aufgefallen ist. Manchmal spüren wir Stresssymptome aber auch sehr deutlich, auf ganz individuelle Art und Weise. Dem einen schlägt ein Problem auf den Magen, bei der anderen fühlt es sich an wie ein Druck in der Brust, oder wie eine bleierne Schwere. Manch eine:r empfindet eine innere Unruhe und Rastlosigkeit.
Wichtig: Wenn solche Symptome länger anhalten, solltest du unbedingt medizinisch abklären, ob es eine körperliche Ursache gibt und du ärztliche Hilfe benötigst.
Sollten deine Symptome keine körperliche Ursache haben, gibt es zum Glück einfache und wunderbare Möglichkeiten, wie wir uns ohne große Hilfsmittel selbst etwas Gutes tun können
Achtsam mit sich selbst sein
Das Stichwort, um sich selbst und die eigenen Bedürfnisse wieder mehr zu spüren, lautet Achtsamkeit. Eine Grundsäule der Achtsamkeit ist es, im gegenwärtigen Moment anzukommen. Dabei ist die Idee nicht, Scheuklappen aufzusetzen und unliebsame Gefühle zu verdrängen – im Gegenteil. Es geht im ersten Schritt um eine ganz nüchterne Bestandsaufnahme dessen, wie es uns jetzt gerade geht, wie sich unser Körper fühlt und was eigentlich in unserem Kopf vorgeht. Da geht nämlich sehr viel unterbewusst im Autopiloten vor, was uns gar nicht weiterbringt.
Die Grundidee ist eines achtsamen Umgangs mit sich ist es, mit offenem Interesse auf uns selbst zu schauen ohne zu urteilen. Dass wir wieder eine Verbindung mit uns und unserem Körper herstellen.
Ein sehr einfacher und zugleich kraftvoller Hebel dafür ist unser Atem. Über ihn verbinden wir uns mit unserem eigenen Rhythmus, wir fühlen das Einströmen und Ausströmen der Luft, wie sich unser Körper hebt und senkt, immer wieder, so wie Wellen im Meer. Über unseren Atem können wir uns selbst regulieren und beruhigen. Wenn wir aktiv und tief einatmen und ganz bewusst – am besten durch den Mund – wieder ausatmen, bringen wir uns selbst mehr zur Ruhe.
Ein paar kurze und wirksame Atem-Übungen, für die wir nicht mehr als ein paar Minuten brauchen:
- Gute Gefühle einatmen, schlechte ausatmen:
- Setz dich bequem und aufrecht hin.
- Schließe die Augen und atme tief in den Bauch ein. Nimm dir Zeit, alle Luft wieder in Ruhe ausströmen zu lassen.
- Stell dir nun vor, dass du bei jedem Einatmen ein Gefühl einatmest, das du jetzt gerade gut brauchen kannst, zum Beispiel Gelassenheit / Freude / Selbstvertrauen…
- Stell dir bei jedem Ausatmen ein Gefühl vor, das du gerade nicht gebrauchen kannst, das dich belastet, zum Beispiel Angst / Druck / Wut / Traurigkeit…
- Wiederhole das für 2–3 Minuten.
- Atme nach der 4-7-8-Methode:
- Setze dich ruhig hin.
- Atme für 4 Sekunden tief ein (nicht nur in die Brust, auch in den Bauch!).
- Halte die Luft für 7 Sekunden im Körper an.
- Atme ruhig und gleichmäßig für 8 Sekunden durch den Mund wieder aus.
- Wiederhole das für 4 Durchgänge. Diese Übung kannst du zum Beispiel morgens und abends machen zum Start und Ende des Tages.
Um zurück in unseren Körper zu kommen, sind auch angeleitete Meditationen hilfreich. Zum Einstieg machen schon wenige Minuten einen Unterschied, zum Beispiel mit Hilfe von Apps wie Headspace oder 7Mind. Eine klassische Meditationsübung ist der Bodyscan. Dabei wanderst du mit deiner Aufmerksamkeit von deinem Scheitel am Kopf bis zu deinen Zehenspitzen durch deinen ganzen Körper. So bekommst du wieder eine Verbindung dazu, wie du dich gerade fühlst. Du findest dafür sehr viele Anleitungen im Internet (zum Beispiel hier ohne störende Werbung als mp3 zum Download von der TK).
- Spüre ganz genau in jedes Körperteil – wie fühlt sich die Unterseite deines Fußes an? Warm, kalt? Kribbelt etwas? Wie geht es deinen Beinen, wie fühlt sich dein Knie an? Spürst du, wie deine Oberschenkel auf dem Stuhl ruhen? Sind sie angespannt oder geben sie das Gewicht wirklich ab? Merkst du eine Verspannung im Rücken? Fühlt sich dein Bauch weich an oder hart? Hast du Hunger? Fühlst du dich pappsatt? Hast du Durst?
Du wirst sehen, nach dieser Übung hast du ein geerdetes Gefühl und spürst, wie es dir eigentlich gerade geht.
Kleine Rituale in den Alltag integrieren
Ein paar weitere Übungen, um Achtsamkeit und gute Gedanken in deinen Alltag zu integrieren:
- Timer für Bedürfnisse:
- Stelle dir an einem stressigen Tag auf deinem Handy einen Timer, zum Beispiel einmal pro Stunde.
- Stelle dir jedes Mal, wenn der Alarm klingelt, zwei Fragen:
- Wie geht es mir gerade?
- Was brauche ich gerade?
- Vielleicht hast du Durst und möchtest einen Schluck Wasser trinken? Vielleicht willst du einmal kurz aufstehen und dich strecken? Vielleicht möchtest du kurz aus dem Fenster und in den Himmel schauen?
- Schöne Momente sammeln:
- Such dir drei kleine Steinchen. Verstaue sie bei Tagesbeginn in deine linke Hosentasche.
- Nimm immer dann ein Steinchen heraus und verfrachte es in deine rechte Hosentasche, sobald etwas Erfreuliches passiert.
- Achte dabei auch auf die kleinen Dinge: Der Busfahrer hat extra gewartet, um dich noch mitzunehmen? Eine Fremde hat dir eine Tür aufgehalten? Du hast eine nette Mittagspause in der Sonne mit Kolleg:innen verbracht? Du hast dich trotz innerem Schweinehund zum Sport aufgerafft? All das kann es wert sein, das Steinchen auf die andere Seite wandern zu lassen.
- Nimm am Ende des Tages die Steinchen aus der Tasche. Rufe dir noch einmal bewusst die drei Situationen hervor, für die sie heute stehen.
- Je mehr du das zur Routine werden lässt, desto mehr wirst du deinen Geist darauf trainieren, die kleinen und schönen Momente des Alltags zu erkennen und wertzuschätzen.
In Phasen, in denen wir vor lauter Gedanken nicht mehr mitbekommen, ob wir durstig sind oder müde, nehmen wir unsere Außenwelt nur noch wenig wahr. Wieder aktiv in unserer Umgebung anzukommen, hilft ebenfalls, um aus Negativgedanken herauszufinden.
Mit kleinen Tricks im Raum ankommen
Es mag banal klingen, aber wann hast du das letzte Mal nach oben in den Himmel geschaut, während du durch die Straßen gelaufen bist? Siehst du nur das, was vor dir auf dem Asphalt liegt oder auch die Balkone im 4. Stockwerk der Häuser, an denen du vorbeigehst, die Baumkronen, die Form der Wolken am Himmel? Es geht darum, dich selbst wieder in Relation zur Welt zu sehen. Dann nämlich merken wir, dass unsere Probleme nur ein Teil sind von unserem Leben, ein Teil von allem, was uns umgibt.
Wenn wir zum Beispiel nachts in den Himmel schauen, wird uns anhand der Sterne bewusst, wie winzig klein wir in diesem unendlich großen Universum sind. Und darin steckt etwas Erschreckendes und auch etwas sehr Tröstliches – vielleicht ist unser aktuelles Problem zwar ernst, aber auch nicht so riesig, wie es uns gerade erscheint? In den Himmel schauen ist eine Option, um das spürbar zu machen. Aber auch der Anblick eines alten Baumes kann helfen oder was uns auch immer in der Natur anspricht – ein Spaziergang im Wald, aufs Meer schauen, Berge betrachten oder auch ein Besuch im Planetarium, wenn wir gerade keinen tollen Sternenhimmel in natura bewundern können.
Es geht darum, etwas Erhabenes anzuschauen, das uns bewegt. In der Stadt kann das auch ein Gebäude sein wie ein Tempel, eine Kirche, eine Synagoge oder eine Moschee. Dabei müsen wir keinem bestimmten Glauben anhängen, sondern einen Zugang zu etwas Größerem finden als wir selbst sind.
Naturerlebnisse helfen
Für mich persönlich ist die Natur in schwierigen Momenten die zuverlässigste Trostspenderin. Wenn ich durch den Wald spaziere und mir vorstelle, wie viele Jahreszeiten, wie viele Stürme, wie viele historischen Momente die großen knorrigen Bäume schon erlebt haben und dabei immer noch stoisch hier stehen, im Herbst ihr Laub abwerfen und im Frühjahr wieder grünen, dann empfinde ich große Demut. Übrigens: Um sich wieder mehr mit den Kräften der Natur zu verbinden, braucht es gar keinen spektakulären Ort wie den Grand Canyon oder die Niagarafälle. Manchmal ist es auch einfach schön, Enten auf dem Teich im Park nebenan zuzuschauen.
Egal, welche Strategie für dich funktioniert – es geht immer um das bigger picture, darum, den Blick zu weiten und neue Eindrücke zuzulassen. Es geht darum, zu sehen, dass wir mehr sind als unser Problem. Dass wir in der Vergangenheit schon andere Herausforderungen bewältigt haben, dass andere vor uns Probleme bewältigt haben und dass auch wir selbst in der Zukunft auf unser Leben heute mit anderen Augen zurückblicken werden. Darum, dass die Welt und unser Leben noch aus mehr besteht als dem, über das wir uns gerade Sorgen machen. Und dass die Welt um uns herum so viel Schönes und Trost bereithält, wenn wir bereit sind, hinzusehen.
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